A NUMBER OF KIEFER PAINTINGS BELOW...
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HANDKE'S 1999 PIECE ON KIEFER BELOW: THIS PAGE STRETCHES WAY TO THE RIGHT DUE TO THE WIDTH OF THE KIEFER CANVASSES!
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DIE ZEIT vom 09.09.1999 Seite 49 Nr. 37 Feuilleton Anselm Kiefer oder Die andere Hoehle Platons Ich kannte Anselm Kiefer noch nicht in Person, als er mich schon einmal im Blick hatte. Das war vor vielleicht fuenf Jahren in einem Kino des Quartiers von St. Germain-des-Prés. Ich sei da, so sagte er mir spaeter bei unserer ersten Begegnung, mitten im Film weggegangen. Ohne dass er mein Hinausgehen eigens beschrieb, war mir bei seiner Bemerkung, als saehe ich mich, bei vollem Saal, vor, sagen wir, vierhundert Zuschauern, an der Leinwand vorbei durchs Dunkel in Richtung der Leuchtschrift SORTIE bewegen, moeglichst schnell, den Kopf gesenkt, damit nicht etwa dessen Schatten mit in den laufenden Film projiziert wuerde. Im Gegensatz zu mir habe er sich den Film bis zu Ende angeschaut. Als ich jetzt, vor ein paar Wochen, wieder in demselben Kino sass, spuerte ich, schon vor der Mitte des Films, den Blick des abwesenden Malers in meinem Ruecken - und nicht bloss im Ruecken: rundherum in dem ganzen, diesmal nachmittaeglich leeren Saal. So sah ich den Film bis zum Schluss und betrachtete danach im Vorbeigehen an der Kirche von St. Germain, wo gerade, wie ueblich, die Abendmesse auf Spanisch gefeiert wurde, ueber dem Portaleingang das lange Steinrelief eines namenlosen Skulpteurs aus dem 12. Jahrhundert: das Letzte Abendmahl, die Gesichter des Christus und aller zwoelf Apostel in einem der Bilderstuerme der Geschichte weggeschlagen, die Haltungen aber unversehrt, und, in der Gesichtslosigkeit, vielleicht umso deutlicher - am deutlichsten jene des in seinem Vor-Abschiedskummer mit seinem ganzen Oberkoerper quer ueber die Tafel geworfenen Juengers Johannes, seinem Nachbarn, dem im Zentrum thronenden Gottessohn, entgegen, den gesichtslos gewordenen Kopf in dessen dem Tisch aufliegende Hand vergraben Haltungen, Gestaltungen, Situationen, Konstellationen, die derart in die Augen sprangen, nicht nur wegen der unkenntlich gewordenen Antlitze, sondern auch - die Reliefe waren ja urspruenglich bemalt gewesen? - wegen der im Lauf all der Jahrhunderte vollkommen verschwundenen Farben oder Farbigkeiten. Ich kenne die Person des Anselm Kiefer immer noch kaum. Aber als ich, lange vor ihm selber, erstmals seinen Bildern begegnete, war mir, ich kennte diese sozusagen schon seit unvordenklichen Zeiten. Nein, nicht sozusagen: als habe es diese Gemaelde und diese Malerei tatsaechlich gegeben schon vor mir und vor meiner Zeit - und ebenso auch vor dem Maler und seiner Zeit. Kiefers Gemaelde (das altertuemliche Wort Gemaelde ist fuer seine Arbeiten wohl mehr am Platz als das uebliche Bilder) erschienen mir auf den ersten Blick als eine Art Vorzeit-Malerei, eine Malerei aus der Vorgeschichte. Nicht um Hoehlenbilder handelte es sich, wohl aber um Erd- und Bodenbilder, Bilder, der Erde, dem Boden, dem Weg, dem Damm entstiegen und ins Vertikale und Monumentale gebracht auch die Farben Erd-, Boden-, Stein-, Wurzel-Farben. Vorzeit, das hiess im Betrachten auch Sagenzeit, und wirklich gab es ja in den Gemaelden Kiefers Spuren und Fragmente sagenhafter Erzaehlungen, meist der germanischen Mythologie. Es war freilich weniger die in der Regel, im Vergleich zu den monumentalen Formaten, jeweils kleinwinzige deutschmythologische Figurine - die einzelnen Gemaelde bekamen so etwas von gigantischen Buehnen-Bildern - als eher das Erzaehlen selber, das einen Betrachter irritieren oder provozieren konnte: Malend-erzaehlen, ging das noch, jetzt gegen Ende des 20. Jahrhunderts? War es noch moeglich? Konnte es, nach Manet, Cézanne, Picasso, Jackson Pollock, noch etwas Neues bringen oder etwas Altes auffrischen? - Inzwischen scheinen die deutschen Vorgeschichtsgestalten aus Kiefers Breitwaenden verschwunden. Doch staerker denn je sind sie Erd- und Boden-Gemaelde. Mehr denn je wirken sie, menschenentleert oder hoechstens mit einer vereinzelten, anonymen, bodenwaerts ausgestreckten, der Erde und dem Lehm angenaeherten Figur, sagenhaft als habe jene germanische Sagenhaftigkeit Platz gemacht einer globalen - einer unbestimmten und auch unbestimmbaren Weltsage. Ich erlaube mir hier, einen (1) Eindruck wiederzugeben aus dem Alltag des Malers, und zwar deshalb, weil, so kommt es mir vor, in diesem einen Eindruck Person, Alltaeglichkeit und Arbeit - bei Kiefer ohnehin schon stetig ineinander uebergehend - ganz besonders uebereinstimmen. In seinem weitlaeufigen suedfranzoesischen Anwesen zu Besuch, fiel mir auf, dass es da an nichts, an keinem Ding, einen Hauch oder Schatten von Verschwendung gab. Zwar war dies und jenes fast ueppig, in feiner Auswahl, vorhanden. Aber alles das, so mein Eindruck, sollte moeglichst schonend benutzt werden. Es hatte keine Reste zu geben, weit und breit - und wenn Reste, dann keinesfalls im Sinn von Abfaellen. Jeder Rest, auch wenn nicht eigens gleich neu verwertet, wurde doch aufgehoben und irgendwohin (Wohin? fragte ich mich anfangs) beiseitegeschafft als ein Wert. In dem grossen reichen Gewaechshaus kaum ein verfaultes Gemuese oder eine vertrocknet dahaengende Frucht. Zwischen solch konzentrierter, durchorganisierter, ausgetueftelter Fuelle - hier die Beete, dort hinten, jenseits zweiter Hoefe, sagen wir, der gedeckte, eher kleine Tisch - jeweils ausgedehnte, geradezu gigantische Leerstrecken, Sand, Schotter, Lehmwuelste, Kraftfelder von nichts und wieder nichts, entsprechend dem gar nicht extra suedlichen, eher vorgebirgshaften Himmel ueber dem Ganzen. Ein eigentuemliches Verhaeltnis, so mein Eindruck, zwischen Grossraeumigkeit und Ziseliertheit, geradezu saeuberlicher Miniaturhaftigkeit, bestimmte Lebens- wie Arbeitsraum des Malers, ein seltsames Neben-, nein, Miteinander von Monumentalitaet und klar geordneter, gleichmaessig wertender, geradezu sparsamer Kleinteiligkeit (nichts wegwerfen! nichts verkommen lassen!). Eine UEbereinstimmung mit den Arbeiten selber? Wirklich? Welche? Ich habe meine erste Schulzeit in einem laendlichen Ort verbracht, der am Fuss eines von Hoehlen durchloecherten Kalkfelsenkegels lag. Nicht zum ersten Mal erzaehle ich hier die Expeditionen von uns Schulkindern in die damals noch unerschlossenen Grotten. Ich wiederhole mich, es gehoert hierher. Jene Hoehlen waren durchwachsen von Tropfsteinen, ewignassen, farbigen bis glasigen, was im Licht der Taschenlampen den Anschein von Schatzkammern gab, je tiefer im Berginnern die Kammer, je entfernter vom Tageslicht, desto kostbarer die Steinzapfen und -saeulen. Heute, zur (kleinen) Fremdenverkehrsattraktion geworden, hat die Grotte den Slogan Bunteste Tropfsteinhoehle OEsterreichs - bunt ist aber am ehesten noch die Zerstoerung, welche wir Kinder ihr seinerzeit zugefuegt haben: ganze Steinwaelder schlugen wir ab und schleppten die besonders glaenzenden Bruchstuecke hinaus ins Freie, trugen sie, jeder fuer sich, heim, versteckten sie als einen Schatz wir entwendeten der Hoehle die Farben - uebrig blieb an den Ruinen nur dies und jenes Bunte (und es ist ein Unterschied zwischen Farbigkeit und blosser formenloser Buntheit). Was aber dann mit den Bruchsteinen, -zapfen, -saeulen draussen, im Freien, an der Luft, im Tageslicht alsbald geschah: die Tropfsteine, Stalaktiten wie Stalagmiten, hoerten zu tropfen auf, trockneten, und auch die scheinbar glasig schimmernden wurden stumpf, die Farben blichen aus - oedere, grauere und zeichenlosere Steine waren uns nie, in keiner Schottergrube, auf keinem Feldweg je unter die Augen gekommen. - Warum ich diese Geschichte hier wiederhole? Weil es mir mit den Dingen, die der Maler Anselm Kiefer im Lauf von Lebensjahrzehnten gesammelt und archiviert hat, eher umgekehrt erging. Im Jahr 1997 hatte ich einmal einen ganzen Vormittag lang die Gelegenheit, allein in einem sehr weitraeumigen, dabei tageslichtlosen Keller die Sachen-Sammlung Kiefers sozusagen zu durchwandern auch bis in die hintersten Winkel und innersten Faecher zu durchstoebern und zu durchschnueffeln (die Nase war immer wieder mit dabei). Das elektrische Licht dort unten war eher schwach - oder das kommt mir jetzt nur so vor. Diese wie in die Erde gegrabene Raeumlichkeit befand sich gerade unter dem Atelier des Malers, den ich ab und zu ueber mir werken hoerte. Ja, auch das Hoeren war Teil des Durchwanderns der jahrzehntlangen Ablagerungen, wie das Schauen, Riechen, Betasten. Immer wieder stieg ich auch auf eine Leiter, nicht nur, um an ein bestimmtes Fach zu gelangen, sondern auch, um den Blick zum UEberblick zu erweitern. (Fast) alles Moegliche fand sich unter diesen mehr von selber angesammelten als eigens gesammelten Dingen, Resten, Skeletten, Schlacken, Trockenfruechten - nichts wegwerfen, jedem seinen Wert beimessen -: nur eben kaum etwas von dem scheinbar Kostbaren, wie jenen Tropfsteinen, die wir Kinder einst, indem wir sie ihrem Ort entrissen, entwertet hatten. Wie ein gemeinsamer Untergrund all der mehr oder weniger mumifizierten, vorzeitlich gewordenen Dingformen erschienen so, und nicht erst jeweils oben auf der Leiter, die dort in den Kellergemaechern allgegenwaertigen Aschen und Sande, die Aschenblueten, Holzaschen, Manganknollen, Brocken vom Meeresboden und wie die Verbindungsglieder zwischen den Vogelkrallen, Schlangenhaeuten, Teppichklopfern, Photoalben, Stechaepfeln usw. die ebenso allgegenwaertigen Bueschel und Buendel des sogenannten Unkrauts. Und ich hatte, so im Betrachten, Behorchen und Beriechen, die laengste Zeit wieder einmal jenen als eine Art Wahlspruch gewaehlten Satz des Francis Ponge im Sinn, wie dieser Dichter-Antidichter ihn, sitzend in einer daemmrigen Scheune vor nichts als einer getrockneten Bohnen- oder Zwiebelgirlande, ihn durch ein ganzes, eine eigene Poetik entwerfendes Buch (Pour un Malherbe) sich staendig wiederholt: Monde muet, notre seule patrie! Und warum erging es mir da in der Vorstellung, angesichts der tausend angegrauten, ausgebleichten, staubenden, zerfallenden, skelettierten Angeschwemmtheiten (eines-und-unseren Lebens), in ihrer Trostlosigkeit, Klaeglichkeit, Zeichenlosigkeit, so umgekehrt wie damals mit den in ihrer Hoehle praechtig leuchtenden Tropfsteinen? - Ich stellte mir, dort im Keller, vor, sie wuerden, ihrer duesteren Vorhoelle enthoben, ans Tageslicht gebracht, im Gegensatz zu den scheinwertvollen Stalaktiten und Stalagmiten erst ihren Glanz, nein, ihre Kontur, nein, ihren Platz bekommen. Dazu gehoerte freilich, dass diese stumme Welt - so lief der Vorstellungsfilm weiter - nicht fuer sich allein bliebe in dem lichtschwachen Keller, sondern zusammengebracht wuerde mit dem Gemachten, dem Gestalteten, Geschaffenen dessen, der sie all die Jahrzehnte hindurch so penibel aufgehaeuft und beschriftet hatte - zusammengebracht mit den Werken, den Bildern, den Gemaelden des Malers aus der Etage darueber: zusammengebracht? ihnen gegenuebergestellt? untergeordnet? eingeordnet? verschwistert? vergesellschaftet? Jedenfalls: heraus aus diesem Untergrund mit diesem zwar wie geizig aufbewahrten, zugleich aber grau durcheinandergewuerfelten Organischen und Anorganischen, hinaus ins nachbarliche Licht der Werke mit ihnen - so wuerden sie, nach meiner Vorstellung, zwar bleiben, wie und was sie jetzt waren, aber doch zugleich ganz anders gewuerfelt erscheinen. Stumme Welt? Es ging doch ein Takt von ihr aus, oder zumindest ein Knistern. Die Malerei des Anselm Kiefer erscheint mir als etwas Gefaehrliches. Wahrscheinlich war sie von ihrem Anfang an schon gefahrvoll - ab dem Augenblick, da Kiefer, der Schueler oder was auch immer des Joseph Beuys, von seinen Nach-Beuysschen Aktionen, Situationen und Materialien ueberging (oder zurueckging?) zum Bilder-, Gemaelde-Malen. Doch sehe ich sie mit den Jahren noch zunehmend gefahrvoll. Gefahrvoll fuer wen? Fuer den Maler selber. Und so sollte es ja wohl auch heutzutage sein: kuenstlerische Arbeit nur noch im Sinn eines waghalsigen, grenzenerprobenden Abenteuers. Nicht bloss, wie heute gemalt wird, sondern schon, dass ueberhaupt noch gemalt wird: Problem, Fragwuerdigkeit Legitimationspflicht. Und so speziell gefaehrlich erlebe ich Kiefers Wiederaufnahme des Malens, weil dieses auf den ersten, und dann auch wieder auf den letzten, nein, vorletzten Blick so tut, als gaebe es die Problematik gar nicht wie fraglos gebaerdet sich dieses Malen, die gesamte Bildergeschichte, insbesondere die jetzt des Jahrhunderts, ueberspringend, in einem grossen Sprung zurueck, oder vor?, in das Sagenhafte - in eine andere Geschichte. Schon die Formate sind in der Regel giganten- oder zyklopenhaft. Und auch mit seinen ins Riesenhafte vergroesserten Sujets tut dieses Malen, als sei nichts - als sei nie etwas (vorgegeben) gewesen - und als sei alles, alles (noch) moeglich. Und so scheinen auch die Pinsel- oder Buersten- oder Besenstriche, mit denen in solch zyklopischen Formaten die ins Monumentale erweiterten Gestalten praesentiert werden, von keinerlei Fragen und Formueberlegungen gelenkt: die Machart gibt sich vernachlaessigbar, unwichtig, zweitrangig es ist, als diene sie allein der Re-Praesentation, der Neuvergegenwaertigung der unbestimmbar bleibenden Sagenhaftigkeit. Moeglicher Eindruck auch auf einen gutwilligen Betrachter vor so einem Gemaelde: der Maler habe da eine Art ueberdimensionalen, vorzeitlichen Schildes nachgemalt und sich, so dem Anschein nach seine vordringliche Malgeste, selbst auf dieses sein Schild gehoben. Und so verstehen sich, zumindest im Ansatz, auch diese und jene Angriffe auf die Malerei Anselm Kiefers. Aber gefaehrlich ist sein Malen schliesslich doch grundanders. Ist es nicht seltsam, dass eine der Leitfiguren dieses Jahrhunderts fuer die Abkehr vom Malen und von der Malerei, ja, der Propagandist fuer deren Unsichtbar-und anders-Wirksamwerden (innerhalb der Gesellschaft statt aussen), Joseph Beuys, lange Zeit fuer Kiefer der wohl bestimmende Kuenstler war - und dass gerade dieser A. Kiefer sich dann neu auf die abgetane Malerei warf, ja, warf? Und seltsam nicht auch, dass einer der Beuysschen Hauptglaubenssaetze hiess, ein jeder Mensch sei ein Kuenstler - waehrend nach ihm einer seiner engsten Juenger (oder wie auch immer) auf die Szene trat mit der Geste Ich, der Maler - und allein ich - und vielleicht noch der und jener - aber wenige - die Wenigen!? Bruch? UEberhebung? Hybris? Ich freilich, indem ich mich der Malerei Anselm Kiefers aussetze, wie ja auch sie sich offensichtlich mit dem Betrachter aussetzt, sehe das nicht so. Gerade das Halsbrecherische dieser Bilder hat mir, mit der Zeit, Vertrauen zu ihnen gegeben. Denn halsbrecherisch meint bei Kiefer nicht mutwillig, sondern es kommt aus einer Bild fuer Bild spuerbaren Beduerftigkeit - aus einem grossen Traum, und der geht folgend: Malerei, auch wenn sie vielleicht keinen Platz hat in der gegenwaertigen Weltgeschichte, muss sein! Sie ist, wie sie es war und sein wird, eine - unentschluesselbare, geheimnisvolle - Notwendigkeit, und aus dieser erfolgt das jeweilige, auch von Epoche und Ort gelenkte Spiel des Kuenstlers: dieses kann im Fall Kiefers nur nicht so frei sein wie etwa das Malen eines Velázquez, Goya, Manet oder gar Picasso - er malt in einer anderen Zeit als seine Vorgaenger, stammt aus einem anderen Land -, und doch geschieht es mit der ganz aehnlichen Spieler-Leidenschaft, und es ist vielleicht am ehesten vergleichbar dem farbformenwaerts den Tieftraum (oder die Mythen) suchenden Kiefer-Landsmann Max Beckmann. Malerei geht nicht mehr - nur noch Spiel mit ihr: das war einer der befreienden Zuege Dadas. Bilder gibt es nicht mehr, nur noch die Bilderbilder: das war eine der Wohltaten der Pop-Art. Mit den Gemaelden Kiefers jetzt wird jedoch deutlich: Malerei und Bilder, wozu auch immer - nein, ohne wozu - muessen sein, gegen die (gegenwaertigen) Goetter und gegen die Welt, gegen Tod und Teufel, und auch mit denen und daher wohl angesichts dieser Malerei das vordringliche Gefuehl: Gefahr! Malerei als ein spezielles Drama, welches in Gang kommt, indem sie sein muss und zugleich spielen muss existentielles und zugleich aesthetisches Drama, zu verfolgen so spannend wie selten gerade an der Malerei von heute, und mit am spannendsten eben an der Malerei des A. Kiefer. So besonders spannend: denn: was soll sie spielen? Und wie? Keiner weiss mehr, auch der Maler nicht. Aber sie, die Malerei, muss sein, und sie muss spielen. Und so erscheint mir das Titanenhafte an der Arbeit Kiefers nicht als die Gratisgestik eines Genies, vielmehr als Notwendigkeit, entsprungen einer Beduerftigkeit. Die Formate muessen so gewaltig sein, wie sie sind auch die Sujets - die Ziegelmauern, die Wege, der Boden - brauchen diese eigentuemliche Groesse und bei naeherer (und auch nicht naeherer) Betrachtung ist der Farbauftrag dann gar nicht so beliebig: diese Erd-, Sand-, Lehmfarben sind gemalt auch gegen das Malen - sie muessen regelrecht auf die Flaeche gebaut, gemauert, ueberbaut, zugemauert werden, wie um, zugleich mit der Malerei, eine andere, die uebliche Malerei zu bekaempfen, zu ueberdecken, zu zerstoeren (siehe Drama). Das Aufregende oder Poetische (in dem Sinn Goethes Der Dichter ist aufgeregt) an Anselm Kiefers Gemaelden ist wohl vor allem, dass sie, parallel und zeitverschoben zu Picasso und Max Beckmann, im jeweiligen Bilderschoepfen zugleich auch den Bildersturm, das Bilder-Stuermen, den Kampf gegen die Bilder, fuer dieses jetzige Bild, spuerbar und nacherlebbar machen: so erst verdient das heutige Bild sozusagen seinen Namen. Ja, das Werk Anselm Kiefers wirkt auf mich, so grundanders als Dada oder die Pop-Art, wegen der gewaehlten Formate und auch der Auswahl und Dimension der Gegenstaende, wegen der gleichsam weggemalten Buntfarben, auch als ein Agieren gegen die mehr und mehr allgegenwaertige, raumverdraengende heutige Bilderwelt. Sein Kaempfen um das Bild gegen die Bilder ist freilich ein stiller Kampf, und entsprechend still erscheint mir dann auch das am Ende erkaempfte Bild: gewaltig still - still wie der Maler, ein stiller Wilder. Aber dieser stille Wilde, gerade er, ist vielleicht auf dem Sprung, eine Art neuen Alphabets der Malerei zu entwerfen, an allen fertigen, wohlbegruendeten Kanones des 20. Jahrhunderts vorbei, unbekuemmert um diese (und natuerlich ist er nicht der einzige heute - hat so gar nichts von einem Einzigen -, ist nur von allen den Mit-Malern einer, an dem solch ein neues Alphabet besonders augenfaellig werden kann). Und was den Anselm Kiefer schliesslich vielleicht doch einzigartig macht: dass seine Titanen- oder Zyklopenmalerei, im Gegensatz zu der nicht weniger seiner Mal-Zeitgenossen, so gar nichts Grosstuerisches ausstrahlt ein jedes seiner Gemaelde - so sehe ich sie, so denke ich sie - wirkt grundiert und geerdet von einer fundamentalen Melancholie, in dem Sinn etwa von: Kampf, ja! Aber Sieg? Was fuer ein Sieg? Wenn titanisch, dann aber nicht himmelstuermend, sondern erdstuermend. Und wenn es hie und da vielleicht auch moeglich ist, seine Bilder als Transparente oder Entwuerfe fuer ein Reich zu sehen, dann weniger fuer irgendein Welt- als fuer das Erd-Reich und wenn vielleicht fuer ein Weltreich, so fuer ein anderes. Was fuer ein anderes? Ein anderes. Anselm Kiefer hat einmal erklaert, seine Malerei sei bestimmt fuer Museen - demnach fuer Innenraeume, fuer ein Interieur (wenn auch ein oeffentliches). Fuer mich aber gehoeren seine Gemaelde eher hinaus ins Freie, moeglichst weit hinaus - was ebenso die Steppe heissen kann wie die Place de la Concorde in Paris, der Trafalgar Square in London, der Times Square in New York oder die Puerta del Sol in Madrid. Immer wieder, beim Vorbeifahren oder -gehen an den ueberdimensionalen Reklamebildern des heutigen Globus, habe ich mir diese, hier und dort, ersetzt oder ausgetauscht vorgestellt durch ebenso monumentale, hollywoodbreite Reproduktionen von Kiefer-Gemaelden. Das war mir eine wohltaetige Vorstellung - und allein solch eine Vorstellung war ein Triumph der Kunst. Also doch eine Art Sieg? Sieg des Kuenstlers? Nein, des Raetsels, des Ungewissen, des Unentschluesselbaren - des Fragens. Unter tausend Plakatwaenden oder Laserskulpturen am Sunset Boulevard auch nur eine einzige eingenommen von Kiefers schwarzen Sonnenblumenwaeldern oder Mayapyramiden: Wohltat einer bildgewordenen lebendigen Frage unter tausend toten Fix- und Fertigkeiten (die natuerlich auch schoen dazugehoeren koennen). Und so stelle ich mir zum Beispiel auch jene beruehmten Stier-Silhouetten allueberall in der spanischen Meseta - wenn ihnen, als angeblicher Gefahr fuer die Konzentration der Autofahrer, tatsaechlich das Entferntwerden droht - ersetzt vor durch Vervielfaeltigungen der Gemaelde Anselm Kiefers: keines Reisenden Aufmerksamkeit, scheint mir, wuerden diese ablenken, sie im Gegenteil erweitern und vertiefen. Kiefers Werk gehoert hinaus ins Weite und Freie. Lieber Anselm Kiefer: Immer noch koennten Sie mich sehen, wie ich mitten in einem Film aus dem Kino fluechte, hinaus ins Freie! Aber in dem Film Ihrer Bilder moechte ich bleiben moeglichst bis zum Schluss, genau wie in dem Bilderfilm Velázquez, Goyas, Manets, Cézannes, Beckmanns - zumal dieser Ihr Film ohnedies im Freien spielt. Autor(en): Handke, Peter Bildunterschrift: Seine Malerei erscheint mir als etwas Gefaehrliches - Peter Handke begegnet den Werken Anselm Kiefers Anselm Kiefer: Der gestirnte Himmel, 1980 Aufnahme: ¸ Anselm Kiefer Dein goldenes Haar, Margarethe - Johannis-Nacht, 1981, Privat Collection, N.Y. aus Anselm Kiefer, Prestel Verlag, 1987 ¸ Anselm Kiefer Der gestirnte Himmel, 1969, Collection of Eric Fischl, N.Y. aus Anselm Kiefer, Prestel Verlag, 1987 Datenbank ZEIT Dokumentnummer: 28269
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